Und plötzlich wendet sich das Blatt

Erinnert ihr Euch noch an Eure Kindheit? An die Momente als Eure Eltern noch dafür sorgten dass ihr lernt, dass ihr lebt, dass ihr nicht leidet, dass ihr Euch weiterentwickelt, dass ihr einen gewissen Grad an Lebensqualität Euer Eigen nennt, einfach weil es besser ist? Kurz und gut: Dass es Euch gutgeht, einfach nur gutgeht. Dass es Euch an nichts mangelt, dass es Euch an nichts fehlt, dass ihr Euch gut fühlt, dass ihr Euch wohlfühlt.
Es waren unsere Mütter und Väter die uns die Windeln wechselten, die uns anzogen, auszogen, umzogen. Die uns bei Dingen halfen, die wir aufgrund unserer Motorik noch nicht konnten weil wir sie noch nicht gelernt hatten, weil wir erst auf dem Weg dahin waren gewisse Dinge zu verinnerlichen.
Es waren unsere Mütter und Väter die uns das Laufen lernten und uns hielten, die uns beibrachten wie wir eine Tasse halten beim Trinken, die uns beibrachten wie wir unser Besteck halten oder generell beim Essen Hilfestellung gaben.
Es waren unsere Eltern die uns in die Wanne setzten, uns wuschen, die unsere Zähne putzten, uns in einem warmen Handtuch abrubbelten und mit frischem Schlafanzug ins Bett brachten.
Es waren unsere Mütter und Väter die unsere Wunden versorgten nach kleinen Unfällen, sich um uns kümmerten wenn wir krank waren, die selber krank waren vor Kummer wenn wir litten.

Und plötzlich wendet sich das Blatt …
Plötzlich bemerkst Du an gewissen Situationen, dass die Seiten wechseln, dass DU zu einem Zeitpunkt der ungewiss ist, nicht eintreten muss aber eintreten kann, plötzlich Deinen Eltern gegenüber der Part bist der für Deine Mutter oder Deinen Vater sorgt dass sie nicht verlernen, dass sie leben, dass sie nicht leiden, dass es ihnen gutgeht.
Die Situation seine Eltern plötzlich bei den Dingen zu unterstützen bei denen sie Dich als Kind unterstützen, scheint so unreal, so verschoben, so schmerzhaft. Man will nicht wahrhaben dass da eine Säule wegbricht die immer da war.
Plötzlich wendet sich das Blatt und Du als Kind bist der starke Part, der Part der die Oberhand hat, der Part der das alles im Griff haben will oder haben muss um sie zu unterstützen. Die Basis schwindet, die Basis die uns immer die Gewissheit und das Vertrauen gab: Da sind die Eltern, unsere Eltern, und die sind für uns da, ein Leben lang, immer und überall.
Plötzlich wendet sich das Blatt und Du bist die Person die Deinen Eltern Halt gibt, die Person die beim Halten der Tasse hilft oder unauffällig das Besteck übernimmt damit kleine Pannen beim Essen nicht zu schmerzlich peinlich erscheinen.
Plötzlich bist Du die Person die Deine Eltern in die Wanne setzt, sie wäscht, ihnen die Zähne putzt, sie mit einem warmen Handtuch abrubbelt und mit frischem Schlafanzug ins Bett bringt.
Plötzlich bist Du die Person die mit ihnen zum Arzt fährt, sie in in die Klinik begleitest, die Hand haltend und tröstende Worte flüsternd.
Plötzlich wendet sich das Blatt und Du bist das Fundament.
Du hörst Sätze wie: „Mir ist das so peinlich, tut mir leid dass ich Dich damit belaste.“
Und Du denkst und sagst: „War es mir peinlich als Du damals dasselbe für mich getan hast und ich Dich belastete? Nein, es ist alles gut.“
Plötzlich wendet sich das Blatt und Du erkennst dass die Menschen, die für Dich Schutz und Ruhe und Geborgenheit bedeuteten, jetzt das gleiche von Dir verlangen, bewusst oder unbewusst, egal, sie brauchen Dich.
Plötzlich wendet sich das Blatt, nicht Deine Eltern suchen für Dich einen Kindergarten- oder Hortplatz, eine Schule die unseren Ansprüchen gerecht wurde, also einen Ort der Dich behütet wenn Sie es durch den Job nicht können, einen Ort an dem Du sozial integriert werden sollst.
DU musst jetzt u. U. einen Platz in einer Tagespflege oder schlimmstenfalls einem Pflegeheim suchen, weil es unsere Jobs verlangen und wir es zeitlich und körperlich nicht mehr schaffen. Dann suchen wir die Orte aus um unsere Eltern sozial integriert und gut versorgt zu wissen.
Dann stehen nicht wir total verzweifelt, weinend und traurig hinter der Tür einer Einrichtung die nicht unser zu Hause ist weil wir Heimweh haben, sondern vielleicht unsere Eltern.
Dann spüren wir wie sie sich wohl gefühlt haben müssen als wir hinter einer Glastür standen, mit kleiner Tasche oder einem buntem Ranzen über der Schulter, und wieder mit nach Hause wollten, weinend und traurig.
Wenn sich das Blatt wendet, sind in unseren Gedanken immer wieder Bilder aus der Kindheit, Gerüche die immer in unserer Nase bleiben, Worte die immer nachklingen, Situationen und Momente die sich wiederholen, ein Flashback nach dem anderen.
Aber nicht jede Wendung diese Blattes ist mit positiven Erinnerungen gespickt oder einem guten Gefühl.
Sicherlich haben viele von uns auch Bilder im Kopf die nicht schön sind, Gerüche die Angst machen, Worte die wehtun weil sie furchtbar waren, Situationen und Momente die schmerzen.

Und irgendwann kommt der Zeitpunkt da wendet sich abermals das Blatt.
Plötzlich wendet sich das Blatt und Du bist die Person der man beim Halten der Tasse hilft oder bei der man unauffällig das Besteck übernimmt damit kleine Pannen beim Essen nicht zu schmerzlich peinlich erscheinen.
Du bist die Person die von Deinen Kindern gewaschen wird, der man beim Toilettengang hilft, die zum Arzt gefahren, wird, die in die Klinik begleitet werden muss, die streichelnde Hände braucht und geflüsterte tröstende Worte.
Plötzlich bist Du die Person die nicht mehr alles wichtige klärt, die nicht mehr die Oberhand hat, die nicht mehr zuständig ist für die Menschen, denen man alles wichtige beigebracht hat, oder es zumindest versuchte.
Plötzlich hörst Du Dich sagen: „Mir ist das so peinlich, tut mir leid dass ich Dich damit belaste.“
Und Du hörst vielleicht Sätze, die Du schon sagtest: „War es mir peinlich als Du damals dasselbe für mich getan hast und ich Dich belastete? Nein, es ist alles gut.“

Ich habe Angst davor dann nicht zu wissen wer ich bin oder war, wer die Person da neben mir ist, wen ich noch erkenne, wie ich mich benehme, ob ich lange leiden muss, wie ich gehen werde, wie lange ich Menschen zur Last falle und wer in der letzter Instanz da ist, für mich da ist.

Und so wendet sich das Blatt, jetzt in diesem Moment für viele die wir nicht mal kennen, irgendwann oder auch schon lange für viele die wir kennen, aber ganz sicher für uns.
Das Blatt wendet sich, von Generation zu Generation, immer und immer und immer wieder …

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