Wie gerne erinnere ich mich an die Weihnachtszeit als ich noch Kind war, an diese Stadt als ich noch Kind war.
Im Kindergarten Allershausen ging in der Vorweihnachtszeit eine Schere herum, und das Kind welches diese Schere erwischte, durfte sich ein Geschenk vom Tannenbaum abschneiden.
Wir waren so aufgeregt, jeden Tag wollte jeder von uns das Glück haben. Wie enttäuscht waren wir, wenn wir wieder nicht dabei waren, wie aufgeregt und glücklich waren wir, als dann der große Moment kam.
Es waren nur Kleinigkeiten, etwas Süßes, etwas Gebasteltes, aber das hat uns damals gereicht.
In der Adventzeit wurde bei uns zu Hause gebacken, da kam die Oma mit dem Fahrrad aus dem Nachbarort und den ganzen Tag wurde gebacken, Spritzgebäck und Makronen. Der Tisch war voll mit Keksdosen, alles wurde in ihnen verstaut und landete im Abstellraum. Wenn wir ganz viel Glück hatten, dann durften wir mal den Teig schlecken oder einen Keks ergattern, der Rest verschwand jedoch in der Vorratskammer. In der ganzen Wohnung roch es nach Vanille und Zimt, man konnte diesen Duft tagelang riechen.
Auch der Wunschzettel gehörte zur Vorweihnachtszeit als Kind. Die Wünsche in schöner Schreibschrift auf Briefpapier niedergeschrieben, mit bunten Klebebildern versehen, man wollte ja beim Weihnachtsmann Eindruck hinterlassen.
Auch war es bei uns Tradition, dass erst nach dem Totensonntag die Wohnung festlich geschmückt wurde. Und das weder prunkvoll noch bunt, noch schrill oder grell, sondern überschaubar und gemütlich.
Wir striffen durch die Geschäfte der Stadt, die Mutter fragte was wir brauchen oder möchten, sie sah es aber auch, und so wurde mit zunehmendem Alter der Wunschzettel irgendwann durch den verbalen Austausch abgelöst.
Wenn in der Langen Strasse die Weihnachtsbeleuchtung brannte, die alte Weihnachtsbeleuchtung wohlgemerkt, dann waren wir Kinder auf die Weihnachtszeit eingestimmt.
Ein Bummel durch die damaligen Geschäfte war in der Weihnachtszeit Anreiz, fast wie ein 6er im Lotto, denn die Mutter passte genau auf wann wir mit glänzenden Augen vor Dingen standen, die dann heimlich, später auch vor unseren Augen gekauft wurden.
Was war das eine schöne und im Gegensatz zu heute besinnliche Zeit.
Der Heilige Abend war in unserer Familie immer chaotisch, die Mutter rannte mit mehlbestäubter Kittelschürze, einem Nervenzusammenbruch nahe durchs Haus, der Vater holte die besten Weine aus dem Keller, und wir Kinder hielten uns viel in unseren Zimmern auf.
Der Tannenbaum wurde heimlich vom Vater aufgebaut, alleine, wir durften das Wohnzimmer nicht betreten. Und nach dem Gang in die Kirche, wenn es dunkel wurde, also der Abend da war, der Heilige Abend, dann erst durfte die Familie die Stube betreten.
Der Tannenbaum leuchtete, Geschenke lagen unter ihm, leise Weihnachtsmusik im Hintergrund, in deutscher Sprache gesungen, und die Bescherung war da. Wir packten unsere Geschenke aus und freuten uns wie die Schneekönige. Die Familie saß im Wohnzimmer, die Oma aus dem Nachbarort war auch da, und so verbrachte man den Abend gemeinsam in der Wohnstube. Die erwachsenen unterhielten sich, tranken Eierlikör oder den guten Wein aus dem Keller, und wir Kinder ergötzten uns an den Geschenken. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern dass der Fernseher großartig lief. Nur zu späterer Stunde, wenn die Christmessen übertragen wurden. Aber es wurde viel telefoniert: Mit der Tante, dem Onkel, der Patentante, den Freunden der Eltern und so weiter. Und vor lauter Aufregung diesen Tag betreffend, schliefen wir völlig erschöpft und glücklich ein.
Am nächsten Tag, als wir die Augen aufschlugen, stand unsere Mutter schon stundenlang in der Küche und kochte schlesische Klöse, briet die Ente oder Gans, kochte den Rotkohl. Die Oma aus dem Nachbarort war auch schon da, sie war schon in der Frühmesse. Die Suppe kochte, die Rotweincreme stand im Kühlschrank, der Wein aus dem Keller wurde geöffnet, der Tisch war festlich gedeckt, und die Familie kam wieder zusammen.
Am Nachmittag schaute man zusammen einen Film, ging spazieren. Kein Smartphone oder Tablet lenkte uns an, wir waren mit unseren Gedanken und unserer Aufmerksamkeit vor Ort, in der Familie.
Die Mutter verschwand wieder in der Küche. Ein opulentes Abendmahl, wieder ein gemeinsamer Film, und man war so müde und platt und ausgelaugt von der Völlerei der guten Kochkunst der Mutter, dass man ins Bett fiel und einschlief.
Am 2. Weihnachtstag dieselbe Prozedur wie an Tag 1, die Mutter schon lange auf den Beinen, müde und kaputt, und ich weiß noch dass der 2. Weihnachtstag immer der war, den ich nicht mochte, weil man von allem so satt war, so unglaublich satt war, und das in jeglicher Hinsicht.
Und heute? Ja heute:
Heute kommt keine Oma mehr aus dem Nachbarort, heute steht auch keine Mutter mehr frühmorgens in der Küche, bei vielen auch kein Vater mehr der den Wein aus dem Keller holt.
Heute rennt man nicht selten am Heiligen Abend schon auseinander, die jüngere Generation feiert Christmas-Parties in Clubs oder sonstwo.
Heute wünschen wir uns in den sozialen Netzwerken frohe Weihnachten, verschicken Weihnachtsgrüße per email oder whatsapp.
Heute ist die Christmesse auch für mich nicht mehr die Einleitung des Heiligen Abends, weil ich am Heiligen Abend arbeiten muss.
Heute ist der Tannenbaum oftmals kein Highlight mehr, denn der steht teilweise schon Tage vor dem Heiligen Abend im Wohnzimmer.
Heute kann ich Ende August schon Weihnachtskekse kaufen, in allen Variationen und Preisklassen, ich muss nicht mal mehr backen können.
Heute gehe ich nicht mit meinem Kind durch die Stadt und suche Geschenke aus, heute surfen wir dafür durchs Internet.
Wunschzettel schreiben noch die Kinder, die noch kein Smartphone haben oder noch nicht am Rechner sitzen. Der Gang der Zeit sorgt bei den älteren dafür dass man seine Wünsche stellenweise per link bei whatsapp verschickt, ohne bunte Bilder und ohne schöne Schreibschrift.
Heute übertrumpfen wir uns scheinbar mit der Weihnachtsdeko: Lichterketten in allen Längen und Formen, Außenbeleuchtung, Innenbeleuchtung, mit Farbspiel und Zeitschaltuhr, blinkend, funkelnd, glitzernd. Der Garten mit Rentieren, Weihnachtsmänner und Engeln beleuchtet, je mehr desto besser, desto weihnachtlicher. Alles kann, nichts muss, aber davon bitte viel, oder besser noch viel mehr.
Den Kindergarten mit der Schere gibt es nicht mehr, viele Geschäfte von damals auch nicht, und die gute alte Beleuchtung der Innenstadt musste weichen. Das alles gehört wohl zum Gang der Zeit dazu.
Ich würde gerne nochmal in das Weihnachten der 70er oder 80er Jahre in Uslar abtauchen dürfen. Da dieses nicht möglich ist, schwelge ich gerne in Erinnerungen an diese Zeit, und die kann mir keiner nehmen.