Kommentar aus Uslar zum Zweiteiler der ARD
Zum Zeitpunkt des Geiseldramas von Gladbeck war ich 18 Jahre alt. Sicherlich erinnere ich mich daran, allerdings kann ich heute nicht mehr sagen, wie intensiv ich das alles wahrgenommen habe. Wahrscheinlich weniger, sonst hätte ich mehr Erinnerungen an diesen Fall.
Ich erinnere mich hauptsächlich an das stellenweise verängstige, irgendwie auch resigniert wirkende, unschuldige und hübsche Gesicht von Silke Bischoff. Silke Bischoff war so alt wie ich im Jahr 1988. Wir haben bestimmt gemeinsam die 80er Jahre erlebt was die Musik betrifft, die Mode, die Verliebtheit, die Unbeschwertheit, unsere Jugend.
Nachvollziehen, was damals passiert ist
So war der Zweiteiler der ARD für mich ein Pflichtprogramm. Weil ich, jetzt etwas älter geworden, nochmal verstehen möchte was sich damals in Teilen unserer Republik genau abspielte. Ich verfolgte in diesem Zusammenhang auch die Berichte nach den zwei Sendungen. Die Diskussionen. Die Berichte der Augenzeugen, der Familien der Opfer. Die Original-Mitschnitte von damals.
Zu der Situation der polizeilichen Fehlentscheidungen muss man weniger sagen, dass haben dieser Tage schon Fachleute übernommen. Was mich entsetzte war die Szene, dass alle drei Täter durch gezielte Schüsse außer Gefecht hätten gesetzt werden können. Für mich die mit schlimmste Szene im Film. Zu der Situation mit den Journalisten muss man ebenfalls weniger sagen, auch das wurde schon heiß diskutiert und verurteilt. Zu Recht verurteilt.
Vieles erscheint heute undenkbar
Mir fiel auf, dass es im Nachhinein ein Unding war, dass bei diesem Entführungsdrama Unmengen an Reportern dabei waren, aber kein medizinisches Personal, kein Krankenwagen. Ein totales Versäumnis, welches wohl nicht bedacht wurde damals. Und heute undenkbar wäre.
Zu den Opfern und Beteiligten: Der Name von Ines Falk (Voitle) war mir entfallen, genau wie der Name von Emanuele De Giorgi. Ebenso konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, dass Emanuele mit seiner kleinen Schwester in dem Bus war – und sie ihren Bruder vor ihren Augen verlor. Dass die beiden Geiseln aus der Bank so lange in der Gewalt der Täter waren, habe ich auch erst in den beiden Sendungen bewusst wahrgenommen.
Für dieses Unwissen von damals habe ich mich ehrlich gesagt am Mittwoch und Donnerstag geschämt. Weil mir persönlich erst zu diesem Zeitpunkt die Schicksale der Betroffenen und deren Familien durch den Kopf gingen. Was das Geiseldrama von damals noch heute für Auswirkungen hat für die involvierten Menschen. Was sich Leute damals heraus genommen haben im Bezug auf die Presse, und welches Szenario sich über Tage abspielte in den Straßen von Deutschland.
Viele Diskussionen in den sozialen Medien
Das Geiseldrama von Gladbeck wird dieser Tage viel diskutiert in den sozialen Netzwerken. Ich war entsetzt zu lesen, dass sich Menschen an diesem Zweiteiler stören, es demonstrativ nicht schauen, der ARD Quotenfang vorwerfen, die Ausstrahlung als „Klatsche“ den Angehörigen gegenüber betiteln.
Ja, es mag zutreffen, dass auch 30 Jahre nach einem der schlimmsten Kriminalverbrechen dieses Landes Angehörige der Opfer bzw. auch Betroffene alles gegeben hätten, dass diese Bilder nicht wieder im Fernseher zu sehen sind. Dass nicht wieder alte Wunden aufreißen. Dass nicht wieder die Gesichter der drei Täter zu sehen sind. Dass nicht wieder Sender und Journalisten Anfragen stellen bezüglich Interviews. Denn viele der Beteiligten scheinen auch nach 30 Jahren noch traumatisiert.
Aber das entscheiden diese betroffenen Menschen sicherlich für sich und alleine. Darüber werde ich nicht urteilen oder werten. Zudem saßen 32 Menschen im Bus. Z.B. die ältere Dame, das junge Mädchen hinten mit dem Kaugummi. Auf die Namen und Gesichter ging man in den Berichten nicht ein, und das wird einen Grund haben.
Zu wenig Aufmerksamkeit für die Opfer, zu viel für die Täter?
Vielen haben die Ausstrahlung des Zweiteilers für sich auch so gedeutet, dass den drei Tätern eine Bühne geboten wurde. Diesen Gedankengang konnte ich nicht nachvollziehen. Auf diese drei Täter gehe ich allerdings hier nicht weiter ein, weil sie es für mich nicht wert sind, erwähnt bzw. recherchiert zu werden. Schlimm, dass viel über die Täter diskutiert wird, aber weniger über die Opfer. Das war mein Eindruck beim lesen der Kommentare zu dem Film.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so sensibles Thema aufgearbeitet und verfilmt wird, ohne vorherige Rücksprache mit den Beteiligten und den Familien der Opfer.
Es war ein niederträchtiges Verbrechen, welches es in dieser Dimension vorher nicht gab, und welches sich zum Glück auch später nicht in ähnlicher Form wiederholte. Weil man augenscheinlich aus all den bizarren Situationen gelernt hat. Zu spät für die Opfer. Leider.