Lesereise Samuel Koch: Wenn Humor und Betroffenheit so dicht beieinander liegen.

Schönhagen/Uslar Vorgestern in Schönhagen (Uslar/Solling) beim Programm „Rolle vorwärts“ von Samuel Koch (am 04.12.2010 in der Sendung „Wetten, dass …“ schwer verunglückt), in der Martin-Luther-Kirche, bot sich vor Beginn der Veranstaltung am Gotteshaus eine breitgefächerte Palette von Menschen: Alle Altersklassen waren zu sehen, das Geschlecht fast gut ausgewogen zwischen Mann und Frau. Kerngesunde, aber auch gehbehinderte Menschen und Menschen im Rollstuhl fanden sich ein. Wie das so auf dem Dorf ist, gab es vor der Tür schon Getränke, shake hands hier, ein Plausch da. Beobachten, wer sich denn noch so dort sehen ließ. Die Kirche war noch verschlossen.

Bis ein dunkler Wagen vor der Kirche hielt. Ich versuchte eine Blick zu erhaschen, das musste der Wagen mit Samuel sein. Meine Güte, man ist ja aufgeregt wie eine 8-jährige. Als sich die Kirchentüren öffneten und die Menschen hinein strömten, lag für alle die freie Sicht nach vorne auf der Prioritätenliste. Wir drei Damen landeten im Flügel rechts mit Säule vor der Nase. Mehrmaliges rutschen und rücken von rechts nach links und links nach rechts und vor und zurück. Die Sitzposition war dann gefunden. Ich war noch nie in dieser Kirche, fand sie sehr beeindruckend. Pastor Schiller, quasi der Gastgeber, leitete den Abend ein. Ein Pastor, dem viel Sympathie bescheinigt wird hier in der Region. Und dessen Name von Samuel Koch an diesem Abend oft genannt wurde. Die beiden verstanden sich irgendwie.

Beim Blick nach hinten sah ich ihn: Samuel Koch! Wieder das Verhalten einer 8-jährigen, mit dem Finger auf ihn zeigend, weil ich so ergriffen und auch etwas überwältigt war. Und dann fuhr Samuel in seinem Rollstuhl nach vorne. Sein Blick wirkte auf mich konzentriert oder traurig, ich konnte es nicht deuten. Jedenfalls verunsicherte mich dieser Blick kurz.

So begann ein fast 3-stündiges Programm, gefüllt mit seinen Geschichten, slapstickartigen Kommentaren, mit der Musik seiner Freunde und mit den Fragen der Besucher. Es war ein Wechsel von all dem.

Bei seiner ersten Lese-Passage hatte ich noch Schwierigkeiten in die Thematik zu kommen. Da fiel mir auch seine ungewohnte Atmung extrem auf. Das wurde allerdings im Laufe des Abends immer besser. Und ich war drin in seiner Geschichte. In der Geschichte um Samuel. Mit Passagen seine Mutter betreffend, mit dem versteckten Liebesbeweis an Sarah Elena (ich habe mitgezählt, bei der Dankbarkeitsliste nannte er ihren Namen 3x), bei dem Bericht, wie oft sein Vater ihn als Kind schon mit einer „1 plus“ belohnte verschiedene Begebenheiten betreffend.

Es gab so viele Stellen an diesem Abend die uns lachen ließen, die uns schlucken ließen, die uns betroffen machten. Hin und wieder wurden sich auch Tränen aus den Augenwinkeln gewischt.

In Erinnerung ist mir sofort die Schilderung als er damals in der Rehaklinik lag, „platt am Laken“, wieder bei Bewusstsein und das alles verarbeitend, und sich Menschen im Rollstuhl an seinem Bett versammelten. Und ihm sicherlich mit tröstender Absicht demonstrieren wollten, dass ein Leben im Rollstuhl quasi jetzt nicht soooo das Drama ist. Was gut gemeint war und dem einen vielleicht hilft, ist für den anderen total überfordernd. Nachvollziehbar, dass man diese Begegnung lieber aus seinem Gedächtnis streichen würde.

Samuel Koch brachte uns an diesem Abend Probleme nahe aus seinem Leben, an die man als beweglicher Menschen nicht denkt: Wenn die Nase juckt und man sich nicht kratzen kann. Wenn man niesen muss, und dabei fast aus dem Rollstuhl kippt. Wenn einer von zig Kleiderbügeln mit dem Haken in die falsche Richtung hängt, man dieses gerne ändern möchte, aber nicht kann. Dinge, die wir bewusst schon nicht mehr wahrnehmen, bereiten ihm stellenweise Probleme oder Kopfzerbrechen. Auch wenn er das sehr humorvoll schilderte. Wie den Bericht über die Raufasertapete 🙂

Oder die wilde Fahrt in einem Fahrgeschäft auf dem Schützenfest Hannover mit seinem Bruder, die in einer Katastrophe hätte enden können. Weil Samuel aus dem Sitz zu rutschen drohte bei der wilden Aktion. Man schwankte zwischen Entsetzen und schmunzeln, weil er beides gut miteinander vermischte.

Überhaupt habe ich mich stellenweise geschämt, weil ich so viel schmunzelte bzw. lachte. Über die Schilderungen eines jungen Mannes im Rollstuhl sitzend. Der beim Duschen auch gerne mal per Kopfhaut die Anzahl der Löcher im Duschkopf versucht zu zählen.

Die Anmerkung einer Besucherin ist mir auch im Kopf geblieben: Es muss Leute geben, die Besuchern eines solchen Abends eine Art Voyeurismus unterstellen, in Richtung „Gaffer-Mentalität“ gehend. Da bin ich nicht drüber weg gekommen. Und ich möchte behaupten, dass solche Menschen einen Abend dieser Art nicht im Ansatz verstehen würden. Aber auch diese Spezies muss es geben.

Humor wurde angekündigt bei seiner Tour, Humor scheint generell eine Charaktereigenschaft von ihm. Humor macht vieles einfacher. Wohl dem, welcher Humor hat und ihn sich immer bewahrt.

Samuel Koch verstand es, uns alle und die Region mit in sein Programm einzubinden. Dadurch bekam der Abend eine sehr persönliche Note. Man hatte den Eindruck, er fühlte sich wohl in Schönhagen. Die spontane Aktion, dass sein Musiker Dirk auf die Empore ging, an die historische Orgel, und ein Lied anstimmte zum allgemeinen Singen von uns allen, war sicherlich so nicht geplant.

Der kleine verbale Schlagabtausch zwischen seiner hübschen Begleiterin/Sängerin war sicherlich aus dem Bauch heraus.

An einem lauen Sommerabend in einer Kirche sitzen, während die Sonne durch die Fenster scheint und man die Bäume davor erkennen kann, begleitet werden von ruhigem, fast schon sentimentalem Gesang mit Klaviertönen begleitet, ließ sicherlich viele kurz in sich gehen.

Es passte an diesem Abend alles, von der Stimmung über die Kulisse in der Kirche bis hin zum Programm „Rolle vorwärts“.

Ich brauchte zu Hause lange um wieder etwas runter zu kommen und all die Schilderungen/den Abend zu verpacken. Meinen Freunden ging es nicht anders.

Prädikat: Sehr empfehlenswert. Es war ein Abend, der sicherlich viele Zuhörerinnen/Zuhörer mal kurz „erdete“. Und denen, die ein ähnliches Schicksal teilen, vielleicht auch etwas Mut zusprach.

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