Man altert nicht immer in Würde

Gedanken aus Uslar: Man altert nicht immer in Würde – Warum der Gang des Lebens manchmal schmerzt.

Es versetzt sicherlich vielen von uns einen Stich ins Herz, wenn wir beobachten bzw. akzeptieren müssen, dass unsere Eltern aufgrund von Krankheit oder Altersschwäche immer weniger Herr über ihre Sinne und ihren Körper sind.

Wenn wir mit anschauen, wie die ersten Gebrechen Einzug halten, das Register der Diagnosen immer länger wird. Wenn wir uns bewusst werden, dass es bergab geht mit der Eigen-und Selbstständigkeit von Mutter und Vater.

Immer mehr müssen wir Kinder helfen, einspringen, zur Seite stehen, klären, begleiten und auch pflegen wenn wir in der Nähe unserer Eltern sind und es unsere Zeit erlaubt.

Wenn der Alltag zum Kraftakt wird

All das zu akzeptieren tut weh. Wenn die ersten Hilfsmittel wie Einhandstöcke oder Rollatoren im Flur stehen. Wenn Toilettensitzerhöhungen oder Badewannenlifter im Haushalt integriert werden müssen.

Wenn das An- und Auskleiden schwer fällt. Wenn das Essen und Trinken zu einer Tätigkeit wird, die für unsere Eltern mit viel Kraftaufwand verbunden sind. Wenn das Gehör nachlässt, die Sehkraft, die Mobilität.

Rollentausch

Es ist für ältere Menschen nicht selten peinlich, wenn die Zeit kommt – ob nur vorübergehend oder für immer – zu der Windelhosen und auch Lätzchen zur Garderobe gehören. Weil ohne all das vieles nicht mehr funktioniert.

Sicherlich sind diese Hilfsmittel eine enorme Erleichterung, etwas Gutes. Trotzdem ist es für uns Kinder nicht selten schwer zu ertragen. Es wirkt so entwürdigend.

Gerade dann, wenn uns klar wird, dass Mutter und Vater in unserer Kindheit ihre Frau/ihren Mann standen, uns umsorgten, uns großzogen, uns die Dinge beibrachten, zu denen sie heute nicht mehr in der Lage sind. Dann wirkt das alles so verrückt, so verkehrt, so bizarr. Wir tauschen die Rollen, versuchen z. B. die Menschen beim Laufen oder Essen zu unterstützen, die uns genau dieses beigebracht haben.

Die Mutter in Windeln zu sehen, den Vater nach dem Essen den Mund zu säubern – all das fühlt sich teilweise hilflos an. Hilflos deshalb, weil diese Menschen so lange Zeit unsere Basis waren, unsere Säulen. Immer für uns da. Bemüht uns viel beizubringen. Immer unser Bestes wollend. Lange Zeit verantwortlich für uns. Und schleichend, oder von jetzt auf gleich, tauschen wir die Rollen.

Gang des Lebens hinterlässt Spuren

Sicherlich ist das der Gang des Lebens. Aber diese Wende geht nicht an jedem spurlos vorbei. Wenn wir als Kinder krank waren, dann litten unsere Eltern mit uns mit. Nun leiden wir mit unseren Eltern mit, wenn wir sehen, dass vieles nicht mehr so leicht fällt bzw. nicht mehr möglich ist.

Sind unsere Eltern geistig noch fit, ist ihnen vieles unangenehm. Gerade dann, wenn sie unsere Hilfe brauchen. Das tut doppelt weh. In solchen Phasen haben wir oft Bilder aus Kindertagen vor Augen. Erinnern uns daran wie es einmal war und nie wieder werden wird. Das ist ein kleiner Abschied für uns und auch unsere Eltern.

Das kleine Kind, welches von der Mutter den Schlafanzug angezogen bekommen hat, hilft genau dieser Mutter ins Nachthemd.

Das kleine Kind, welches einen starken Vater an seiner Seite wusste, muss nun diesem Vater eine starke Schulter sein.

Das kleine Kind, welches die Eltern als immer funktionierende Menschen sah muss nun einsehen, dass sie nicht mehr funktionieren aus einer Selbstverständlichkeit heraus.

Oftmals fühlen wir uns beschämt

Wenn sich ein Vater bedankt, weil wir ihm beim Essen halfen, beschämt uns das.

Wenn sich eine Mutter entschuldigt, weil ihr ein Missgeschick passierte und wir ihr halfen, beschämt das nicht weniger.

Wenn wir selber schon Eltern sind, vielleicht auch Großeltern, denken wir ab und zu darüber nach, wie es uns ergeht. Wer sich um uns kümmert, ob wir unseren Kindern gegenüber dieselbe Scham an den Tag legen.

Nicht jeder von uns beobachten all das, denn viele verloren ihre Eltern schon viel früher. Oder lernten sie nie kennen bzw. haben keinen Kontakt mehr. Dafür gibt es sicherlich Gründe.

Nicht jeder von uns betrachtet all das mit Emotionen, sondern als Werdegang, den das Leben so mit sich bringt.

So ist das Leben, so war es schon immer und so wird es immer sein.

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